institution
die stationen a b und c hingen zusammen sie befanden sich im linken
hinteren gebäudeteil der nervenklinik leicht vom pförtner aus über den
langen gang und dann links zu erreichen noch leichter über den
hintereingang eine halbe treppe hinauf rechts neben dem fahrstuhl
die station a war eine wachstation die station b war eine halboffene
und die station c eine geschlossene station die stationstür zu allen drei
stationen war stets geschlossen wer hinein wol te mußte klingeln und
warten hinter der tür rechts lag die stationsküche daneben war die
wirtschaftskammer und daneben eine wäschekammer hinter dieser ging
nach rechts und dann wieder links ein gang zur geschlossenen station c
der sogenannten villa hinter der wäschekammer bevor der gang auf die
extratür der station c nach links hinten lief war noch eine raumartige
erweiterung des ganges die von den patienten als aufenthalt genutzt
wurde wenn sie ihre zimmer auf der station b zwecks reinigung zu
verlassen hatten
von der vorderen stationstür über die beiden stationen a und b bis
hinten durch ging der stationsgang an den wänden teilweise
wandschränke mit stationsbedarf die hintere hälfte der gesamtstation
war die b zumeist einzel zwei und dreibettzimmer sowie ein großer
aufenthaltsraum der von den beiden stationen gemeinsam für die
arbeitstherapie genutzt wurde außerdem die zimmer der beiden
stationsärzte das stationszimmer der b befand sich an der stirnseite
des ganges der von dort gut zu überblicken war
von der stationstür aus links ging es zum stationszimmer der a
den hinteren teil des raumes am fenster nahm der schreibtisch des
stationspflegers ein der vordere teil war als aufenthaltsecke für die
pflegekräfte eingerichtet linkerhand führte eine tür zu einem kleinen
nebenzimmer für den bereitschaftsdienst
vom stationszimmer ging es geradeaus zunächst in den dusch und
baderaum dann in den raum mit den toiletten durch eine weitere gut
verschlossene tür betrat man den wachsaal rechts und links von dieser
tür praktisch auf der rückseite des toilettentraktes gab es die
patientenwaschbecken links die fensterseite entlang und rechts die
wandseite zum stationsgang entlang standen zwischen sich einen breiten
mittelgang freilassend in reihe und glied jeweils zwölf betten und die
dazugehörigen nachttische in der höhe der ersten zwei betten der
fensterreihe war der wachplatz ein tisch eine lampe und ein sessel
für die tag und nachtwache an der stirnseite des wachsaals wurden in
großen wandschränken die persönlichen bedarfsgegenstände der
patienten verwahrt durch eine weitere tür kam man aus dem wachsaal
in den tagesaufenthalt dessen inventar lediglich von einer ansammlung
verschiedenster tische und sitzgelegenheiten gebildet wurde durch eine
tür rechts verließ man den tagesraum und stand wieder auf dem
stationsgang genau auf der grenze zwischen station a und station b
die fußböden und zur halben höhe auch die wände von küche und
bädern und toiletten waren weiß gekachelt die fußböden der gänge
zimmer und räume waren mit rotbraunem linoleum belegt
die decken und wände trugen leimfarbenanstriche in elfenbein pastellgelb
oder lindgrün meist reichte von der scheuerleiste bis zur schulterhöhe ein
grünlicher oder gräulicher ölfarbensockel
die fenster waren doppelfenster mit oberlichtern und lüftungsklappen die
mit stellhebeln bedient wurden die fenster waren nur mit vierkantschlüsseln
zu öffnen von außen waren ein oder ausstiegsschutzgitter angebracht woran
sich rotes weinlaub entlangrankte die gardinen im wachsaal waren
staubfarbene glatte vorhänge die anderen fenster so im tagesaufenthalt
hatten nur schals an den seiten die einheitsbeleuchtung aller räume und
gänge bestand aus milchglaskugellampen an chromstangen von den decken
herabhängend tagsüber hatten das stationszimmer der a der wachsaal und
der tagesraum sonnenlicht nachmittags bekamen das stationszimmer der b
und der stationsgang licht von draußen
bis auf zwei privatpatienten welche leise radio hören konnten und die
stationszimmer aus denen manchmal musik erklang gewöhnlich an den
wochenendnachmittagen hörte man nur die geräusche des alltäglichen
stationsbetriebes geschirrklappern türenschlagen toilettenspülen eiliges
hin un her zwischen schlurfenden schritten telefonklingeln flüstern und
tuscheln schlagen auf tische schreie gelächter und dazwischen immer
wieder schläfrige ruhe und ein lautes kommando es roch kaum nach
krankenhaus sondern immer nach einrichtung einer mischung aus
desinfektionsmittel essen klosett und tabakrauch im aufenthaltsraum
und den stationszimmern durfte geraucht werden auch geraucht wurde
auf der toilette und dem gang
auf der station c war alles dunkler enger unübersichtlicher und ein ständiger
fäkalgeruch lag in der luft die gitter vor den fenstern waren massiver und es
gab räume ohne fenster mit luken in den türen kahle in dunkler ölfarbe
gestrichene zellen immer notlichtbeleuchtet ohne jegliches mobiliar und
zumeist mit splitternackten insassen
in gewisser weise setzte sich das innere der stationen sogar noch in den
stationsgärten fort der stationsgarten von a und b wirkte wie ein
verwilderter schulhof der garten der c erinnerte unweigerlich an einen
gefängnishof im garten von a und b verloren sich die patienten wurden
selber zu einem teil der vegetation zu strauch und gebüsch der garten
der c schien schon überfüllt wenn nur ein mensch darin stand als hätte
man ihn mit gewalt hinein gepfercht
das wichtigste aber was sich insgesamt von interieur und inventar sagen
ließ daß es ganz und gar geprägt war von der institution ob es die form der
nachttische die höhe der betten der geruch der zudecken das gewicht
der matratzen die farbe der wäsche der schnitt der schlafanzüge die art
des geschirrs waren oder der umstand daß es für die patienten kein
vollständiges besteck sondern nur löffel gab alles sah unzweideutig nach
anstalt aus das erfordernis nervenklinik bestimmte auswahl und
beschaffenheit der einrichtungsgegenstände sobald man sich mit diesen
von der institution gezeichneten dingen einließ sie benutzte oder sie als
umgebung akzeptierte wurde man selbst von diesen dingen geprägt
sie drückten einem ihren stempel auf man wurde ebenfalls ein gegenstand
ein ding und bestandteil der einrichtung und das im doppelten
sinn des wortes
man meinte sich anzupassen doch handelte es sich tatsächlich um einen
akt der dressur man wurde passiv den dingen gegenüber ließ geschehen
was die dinge mit einem machten und die dinge zwangen einem ihren
wil en auf das war zwar an sich schon schlimm genug wurde aber dadurch
noch furchtbarer daß auch unter den dingen es genügend gab welche nicht
ganz bei trost waren eben verrückt schienen und sich beispielsweise auf
einen irrsinnigen stuhl zu setzen kostete sehr viel überwindung wobei man
nicht nur sich überwinden mußte sondern man wurde von besagtem
gegenstand überwunden kein zweifel es gab gegenstände die ihren verstand
aufgegeben hatten dinge die restlos ohne geist waren die tücke des objekts
ist keine redensart und man glaubt nicht zu welcher uneinsichtigkeit
zu welcher renitenz oder aufsässigkeit zu welchem schwachsinn die
einfachsten sachen in einer entsprechenden institution fähig sind
dem wahnsinn war offenbar egal ob er in ein menschliches hirn oder ein
hölzernes tischbein fuhr die vergewaltigung und deformierung der dinge
durch eine institution letztlich ihr mißbrauch ist dabei allerdings zu
unterscheiden von dem unter diesen umständen berechtigten aufstand
der dinge
insofern also die institution sich in interieur und inventar fortsetzt und
über diese auf ihre insassen einwirkt wird an jenen deren auswirkung
sichtbar die institution verleibt sich ihre insassen ein indem sie diese zu
einem teil ihres interieurs und inventars macht und mittels derselben
über ihre insassen macht ausübt die macht und willkür des irrsinns und
der tollheit die ihrerseits teil der institution waren vergrößerten so den
wahnsinn des gesamtsystems was mich betraf war dies sozusagen meine
erste begegnung mit der entropie und deren auswirkung in einem
geschlossenen sozialen system
das feinste gespür für diese vorgänge hatten übrigens die patienten selbst
und jenachdem wie weit deren geduld reichte waren den dingen die
einfache unbrauchbarmachung oder die vollständige vernichtung als
schicksal gewiss die patienten waren die einzigen die widerstand leisteten
was wiederum die existenz der einrichtung zu rechtfertigen schien
am irresein der insassen bissen sich sozusagen der sachsinn des inventars
und der schwachsinn der institution die zähne aus
die dritte besonderheit neben dem entropischen effekt und den verrückten
dingen betrifft das verhältnis von institution inventar und insassen
es spielt keine rolle ob der insasse ein überlebender ein bürger ein genosse
oder ein patient ist und ob das inventar ein schutthaufen ein schalter eine
fahne oder eine zel e ist und ob die institution haus staat partei oder klinik
heißt es handelt sich allgemein um ein verhältnis welches bei praktisch
allen hermetischen oder vakuolen oder geschlossenen gebilden zu
beobachten ist was mir allerdings erst später beim nachdenken über das
paradiesprojekt klar werden sollte da zum beispiel institution der
garten eden inventar zwei bäume ein apfel insassen adam und eva
solche verhältnisse lassen sich einfach und übersichtlich darstellen
werden sie wie in solchen fällen üblich systematisiert denn das ganze
ist ja für die meisten nichts wenn es kein system ist
zunächst erhebt sich die gruppe der prinzipiellen fragestel ungen
ist die institution erforderlich ist die institution zuständig ist die institution
rechtmäßig beziehungsweise ist das inventar vorhanden ist das inventar
geeignet ist das inventar angemessen beziehungsweise ist der insasse
zu recht interniert ist der insasse in der richtigen institution interniert
ist der insasse internierungsfähig würdig und tauglich beziehungsweise
die kombination dieser fragestellungen zum beispiel ist die erforderliche
zuständigkeit einer rechtmäßig vorhandenen geeignet und so weiter
es folgt die gruppe der detailierten fragen
welche institution bedingt welches inventar welche institution schreibt
welches inventar vor welche institution schafft welches inventar an oder
ab beziehungsweise welche institution wird für potentiel welche insassen
erschaffen welche institution entscheidet über aufnahme und entlassung
welches insassen welche institution sorgt für die auslastung mit welchen
insassen beziehungsweise welches inventar kann von welchen insassen
genutzt werden welches inventar ist von welchen insassen instand zu
halten welches inventar kann von welchen insassen verändert ersetzt
entfernt werden
schließlich ergab sich noch ein komplex von umfassenden vorschriften
welche rechte und pflichten hat die institution gegenüber dem insassen
und dem inventar welche institution und inventarteile stehen dem
insassen zur verfügung und zu welchem zweck welches inventar und wie
hat der insasse bei seinem ausscheiden aus der institution zu hinterlassen
oder zu übergeben
auf alle diese fragen gab es zwei fundamentale antworten oder auswege
entweder man wurde als insasse zum teil des inventars und damit der
institution vereinte die drei bereiche in sich wurde seine eigene umgebung
sich selbst zur einrichtung deren insasse oder man durchbrach seine
internierung wodurch das inventar überflüssig und die institution in frage
gestellt wurde
die erste lösung wählten die pfleger und schwestern die fast alle über
zwanzig bis zum teil über vierzig jahre im dienst waren die zweite lösung
wählten die patienten indem sie versuchten sich das leben zu nehmen
einfacher und viel eicht drastischer gesagt es blieb einem gar nichts
anderes übrig als entweder selber verrückt zu werden oder sich
aufzuhängen normal kam man aus der geschichte war man erst einmal
in sie hineingeraten nicht heraus und der struktur des ganzen entsprach
nun auch daß die patienten die insassen die kollegen das inventar und
die vorgesetzten die institution darstellten