kollegen
a
erinnerte mich an y aus z wie dieser ein ostpreuße im weltkrieg
landser so war auch seine frisur nasse haare deutscher scheitel im
nacken gesträubt wie bei einem fisch schuppige haut auffallend war
seine lautlosigkeit seine scheu vor derbheit
er sprach leise bewegte sich lautlos vollführte nur wenige gedämpfte
gebärden von oben nach unten mit den händen etwas ablegend
etwas glättend beruhigend
wenn er zupacken mußte dann wie ein ehemaliger bauer die rohheit
die rauheit taten ihm sofort leid er widersprach nie und ging ohne
anzuecken stets gleichzeitig einen schritt voraus und einen schritt
hinterher
er war die bemühte reibungslosigkeit den ordnungsgemäßen betrieb
aufrecht zu erhalten dienst ohne widerstand auf das nötigste beschränkt
wenn er mal lachte
im aschenbecher auf seinem schreibtisch lag immer eine braune
zigarettenspitze mit einer glimmenden zigarette die er oft genug einem
patienten abgab und sich eine neue ansteckte
er führte die station wie ein lagerverwalter ein waren oder materiallager
führt er fertigte listen vervollständigte kurven und diagramme schrieb
berichte füllte bestellzettel aus legte begleitakten an sorgte für nachschub
bei medikamenten und instrumenten und eigentlich tat er alles dies noch
immer wie einst seinen dienst auf einer militärischen schreibstube
b
vom stamme der männchen der wichtel der zwerge wurzlig unterholzig
knochig knotig nich verwachsen aber irgendwie doch gebogen verzogen
krumm dem eindruck nach
jeder tag wie ein spalt durch welchen er sich zwängte hinunter einfuhr
in den berg der arbeit um in den gängen und stollen der aufgaben den
schächten der pflichten zu graben zu bohren zu wühlen und zu kratzen
zu schaufeln und zu schippen
von geradezu unter oder innerirdischem fleiß eifer umtriebigkeit rein und
raus hin und her rund um die uhr immer in betrieb aber nicht von
geradliniger zielstrebigkeit linearer energie mehr im kreis um die eigene
achse sich drehend mehr vom schnurrenden und surrenden rundlauf
eines rädchens im getriebe
ein etwas zu großer kopf für einen so kleinen mann eine etwas zu lange
nase im spitzen gesicht das kinn schob er vor wenn er auf seinem gebiß
herumkaute um es wieder an ort und stelle zu hieven eine hand schwang
immer den schlüssel den er an einer kette am gürtel trug
er war von launenhafter beweglichkeit spring und quicklebendig mit
spassigen posen die er stets ernst meinte wie oft zu beobachten bei zu
kleinen zu forschen leutchen die sich hoch aufrecken bange machen gilt
nicht pfiffig war er immer uffm kien nicht hintergründig verschlagen
eher verschroben ein kauz aber im grunde armer leute braves kind
immer der kleinste immer zu kurz sogar für die hitlerjugend
wurde den patienten gegenüber sein körperlicher einsatz notwendig
erinnerte das stets an eine balgerei auf dem schulhof
seine frau war krankenschwester beide sparsam bis zur verbissenheit
nicht aus geiz nur um des erträumten kleinen glückes willen kinder
hatten sie keine
er kam bei wind und wetter mit dem moped zur arbeit in sturzhelm
und motorradanzug später legte er sich sogar einen passenden anhänger
zu marke eigenbau
c
der geborene pfleger jeder der ihm in die hände fiel oder zwischen
die finger kam hatte das glück sein fall zu werden ob er sich alter leute
tiere pflanzen oder kinder annahm sie gerieten immer in seine
ganz persönliche pflege er war durchaus keine vaterfigur und hatte
doch etwas von einem pflegevater an sich
er verbreitete wärme nicht unbedingt menschliche oder herzenswärme
es war mehr die wärme einer wohn oder kochküche seine gemütlichkeit
war die eines küchensofas seine friedfertigkeit war jene welche einen nach
einer mahlzeit befiel seine trägheit war die der verdauung noch die
rohesten lebenszutaten bekam er eintopfförmig gar er strahlte aus
was ein herd ausstrahlt gewissheit zuverlässigkeit geborgenheit wenn man
mit ihm zusammensaß hatte man das gefühl es sei stromsperre
er war kein großes licht und er sah fast nichts seine brillengläser glichen
den deckeln von einmachgläsern er hatte die angewohnheit die ihm meist
zu kleinen pflegerkittel hinten bis auf den kragenknopf offen zu tragen und
dazu um den leib ein stück mullbinde als gürtel was ihn wie einen sanitäter
in einem lazarett aussehen ließ
er hatte dicke aufgeworfene lippen und schnaufte beim essen durch die von
den lippen verdeckten nasenlöcher er schwitzte stark war unrasiert sein
kittel verschmiert und fleckig ohne fett zu sein war er eigentlich ein
wandelndes stullenpaket so eins wie er sie täglich von seiner frau belegt
bekam
diese vom typ eine glucke arbeitete als küchenhilfe und selbst nicht
gerade vom fleisch gefallen sorgte sie sich auch um das wohlergehen ihrer
leiblichen umgebung ich hatte oft anteil an ihren deftigen menagen
das für mich anziehendste jedoch war nicht die verpflegung sondern seine
eigenart zu sprechen sein berlinisch war wie ein topf voll kartoffeln mehlig
mit pelle übertraf noch die warmen wohnküchengefühle strömte eine
heimatliche vertrautheit aus so einlullend und einwiegend daß ich sagen
kann in den gemeinsamen spätdiensten und nachtwachen habe ich bei ihm
den jargon oder die mundart im schlaf gelernt als erstes wie man tüte sagt
zum beispiel in det kommt ja jahnich in de düte
d
ein rentner aus dem polnischen stammend ein arbeiter untersetzt
aber nicht stämmig mehr zäh als stark eigensinnig mürrisch wortkarg
aber nicht unfreundlich nur zurückhaltend
er kam zur arbeit wie zur schicht kleidete sich im keller vor seinem spind
um betrat pünktlich auf die minute die station betätigte innerlich eine
unsichtbare stechuhr und nahm samt aktentasche und thermosflasche
seinen platz unter den patienten ein auch bei seinen mahlzeiten blieb er
mit ihnen zusammen
da er zu alt war um noch die üblichen pflegearbeiten zu verrichten bestand
seine aufgabe darin anwesend zu sein es genügte wenn er da war kaum daß
er platz genommen hatte nickte er sofort ein und schnarchte mit den
patienten um die wette er schlief wie der logenschließer in einem theater
oder die platzanweiserin in einem kino die meiste zeit aber schlief er wie
ein droschkenkutscher auf dem bock oder der fuhrmann an der ecke
sobald er aber schlief schliefen seine patienten auch sie lagen zu seinen
füßen auf dem boden und schliefen sie saßen auf stühlen und tischen und
schliefen sie schliefen im stehen und sie schliefen mit offenen augen
während sie reglos aus dem fenster starrten
d schlief mit gutem beispiel voran und sein ansteckender schlaf hatte zwei
funktionen einmal war der schlaf das einfachste und unaufwendigste mittel
die station in einem vorbildlichen zustand zu halten es gab kein schreien
und kein toben keinen unfrieden keinen zwist keine prügelei alles schlief
alles war still und ruhig der tagesraum glich der gesindestube in
dornröschens schloß
zum zweiten kam den patienten die mit entsprechenden medikamenten
ohnehin schon ruhiggestellt worden waren die fortsetzung ihrer
nachtruhe über den vormittag hinaus sehr entgegen außerdem konnte ihr
medikamentös gesteigertes schlafbedürfnis auch noch therapeutisch
wirksam werden als schlaftherapie
nahm man dies alles zusammen konnte man über die schlitzohrigkeit des
alten pflegers nur staunen er schlief die patienten schliefen alle folgten
ihrem bedürfnis und es herrschte ordnung ohne daß auch nur einer einen
finger krumm zu machen brauchte
später sollte ich überlegungen anstellen ob d nicht der erfinder dessen
gewesen ist was man die nische genannt hat d hatte die entropie überlistet
die nische war der einzige ort in der vakuole von dem keine unordnung
ausging
weil d außerhalb von berlin wohnte und seine anfahrt so umständlich war
schob er gleich eine ganze woche hintereinander dienst und hatte dann
eine woche frei später waren ihm die fahrten um westberlin herum zu
beschwerlich und er gab die arbeit auf
in den spätdiensten die ich mit ihm zusammen war hat er mir immer
wieder erzählt daß in kriegszeiten und danach in zeiten der not und der
kälte es das klügste ist sich umzusehen wie man in einem krankenhaus
unterkommt dort hast du warm sagte er hast zu essen hast was du brauchst
und bleibst du am leben was ist vernünftiger
er war ein ein einfacher und offenbar ein frommer mann
e
sie war anfang siebzig weißhaarig und noch schön wie schon als junge
schwarzhaarige schwester zart aber nicht zerbrechlich gutmütig aber
nicht hingebend eine spröde gutmütigkeit sie war direkt aber nicht derb
sie schien gänzlich bedürfnislos stellte aber an sich und andere ansprüche
ethischer art deren erfüllung sie mit deutlichen worten einforderte
sie selbst erschien uns in mancher hinsicht als die verkörperung dieser
ansprüche folglich wirkte erzog und bildete sie uns durch ihre gegenwart
und ihr praktisches tun gleichermaßen
sie war beileibe kein engel und sie war keine heilige aber sie hatte das zeug
dazu sie war eine schwester nicht nur den kranken ihre schwesternschaft
bedeutete ein dem menschlichen verschwistert zu sein sie wirkte auf eine
lächelnde art ganz abgeklärt aber nicht weise sie war sehr empfindsam
aber überhaupt nicht zimperlich sie konnte mit einer anordnung einer
entscheidung einem wort oder einem handgriff eine lage ein befinden
aus dem unerträglichen ins erträgliche ins aushaltbare wandeln sie
vermochte tatsächlich zu lindern
kein wunder das hinter dieser außenseite ihres wesens notwendig die
andere diese ergänzende innenseite hervorblitzte und das ganz wörtlich
zum beispiel als die strenge eines blicks aus ihren dunklen augen
diese andere e war preußisch erzogen zu disziplin und pflichterfüllung
und in den fast fünf jahrzehnten ihres schwesternlebens bestimmt aber
in der schlimmen zeit unter de crinis war ihr wille tatsächlich eisern
geworden was ihre berufsauffassung betraf war sie nicht nur energisch
sondern unnachgiebig
sie repräsentierte einen sanitären korpsgeist der bedingungslosigkeit
zum obersten gebot hatte ihr standesbewußtsein war eine art weltlicher
glaube an dem kein klinikdirektor zu rütteln gewagt hätte sie war eine
eigene instanz
meistens ist es eher ein grund zu verzweifeln wenn man sehen muß wie
die arbeit den menschen deformiert e hatte umgekehrt ihre arbeit
geformt sie war dieser dabei zu einem vorbild geworden das große muss
ihrer arbeitsmoral hatte sie in eine selbstverständlichkeit verwandelt
die ihres lebens nämlich und damit war ihr gelungen was besonders
uns angehende mediziner beeindrucken mußte daß es hierbei nicht nur
um einen beruf ging sondern um eine berufung
f g
f war der typus des wärters mehr noch des wächters und zwar von
mythologischem ausmaß wie fafner oder fasold das rheingold bewachten
oder der türhüter den eingang zum gesetz so er die patienten seiner
station
f war ein riesengroßes ungeschlachtes ungeheuer aus dicken
fleischmassen aufgetürmt mit einer haarlosen kugel als kopf das gesicht
blutrot ständig überhitzt der mund fast zahnlos die lippen entzündet
man hätte ihn für einen bademeister oder masseur halten können wenn
nicht dieser eindruck einer gefährlichen unberechenbaren infantilität
hinzugekommen wäre er wirkte immer als hätte er sich gerade von einem
ohr bis zum anderen mit marmelade beschmiert solcher aus menschenblut
er war sicher kein kind aber er wirkte wie das monster von einem
schwächling man wurde den eindruck nicht los daß er mal einer der
patienten gewesen sein mußte der zwar nicht ganz freiwillig aber im
interesse aller sich hatte zwingen lassen die leitung der station zu
übernehmen es kam übrigens nicht selten vor daß patienten aus
therapeutischen gründen sich auf der station nützlich machten oder nach
ihrer entlassung für eine gewisse übergangszeit eine leichte beschäftigung
auf ihrer ehemaligen station annahmen
f schien als kind auf dieser station gewesen zu sein und seither spielte er
wenn er vorbei kam den stationspfleger dazu kleidete er sich ganz in weiß
die hosen sogar gebügelt trug ein medikamenteneingangs und ausgabebuch
unter dem arm und hatte in der äußeren brusttasche seines kittels immer
mehrere stifte und kugelschreiber stecken von seinem gürtel herab baumelte
ein gewichtiges bund schlüssel vor seinen schenkeln wie ein zweites
geschlechtsteil
später stellte sich heraus daß es gerade andersherum gewesen war
f hatte sich über die jahre seines stationsdaseins so sehr in die rolle eines
jeden seiner patienten hineingesteigert daß er eines tages eh er es sich
recht versah einer von ihnen geworden war verwirrt und verwildert
behielt man ihn als er wieder einmal auf besuch vorbei kam einfach für
mehrere jahre da und das ging nicht allein ihm so denn fast zur gleichen
zeit ereilte es auch g seine geliebte
g hatte die abmessungen einer heroine dazu das gesichtchen eines
barocken engelchens und ihr lockenkopf war so feuerrot weil er genau
jenes fünkchen verstand enthielt welches sie brauchte um es bei der liebe
mit ihm wieder zu verlieren er war ihr fafner sie war seine rheintochter
ihre anmut hatte statur ihr liebreiz hatte fülle und ihr verlangen besaß
gewicht sie umwogte umwellte umschmeichelte und überwand ihn damit
und seine liebe war ihr rheingold und ihre liebe war sein spreeblech
er tappte ihr nach und grapschte nach ihr und fiel zu guterletzt ganz auf
sie rein sie flirteten nicht sie lotterten ungeniert herum sie hielten sich
an den händen und einander glücklich zum narren es war eine lust
verrückt zu sein
ihre schürzen die die größe von bettlaken hatten spannten über ihrem
leib wie geschwellte segel sie kam den gang entlang einem entgegen
an einem vorbei wie ein schiff das einen fluß hinabfährt in ihrem
schlepptau vor wonne gurgelnd und glucksend f ihr beiboot
mir der ich bestenfalls bis zu ihrer halben höhe reichte kam sie vor
wie die riesentochter in dem gedicht das riesenspielzeug von chamisso
ich war nie frei von der befürchtung daß sie mich aufhebt auf ihre hand
setzt und dann wie einen bonbon f zum verschlucken in das verliebt
genäschige maul steckt
eines tages wie gesagt waren sie dann mann und frau und wieder eines
anderen tages wurden erst er dann sie vom dienst weg dabehalten
man verlegte sie auf getrennte stationen und irgendwann vielleicht
sind sie sich neu begegnet und alles begann von vorn
x
x kam und x ging wie er wollte und blieb so lang er wollte nie sah man x
anders als im gegenlicht entweder sitzend im stationszimmer am ende
des ganges oder er trat ins lichtviereck des ganges hinaus x schien nur aus
einer seite zu bestehen er war ohne vorder und rückseite er wirkte wie einer
der sich hinter seinem schatten verbarg
x sah aus wie ein kreuz ein menschliches kruzifix das einer prozession
vorangetragen wird x trug sich vor sich her oder folgte sich nach wie einer
erinnerung an sich schmal lang dünn starr aufgerichtet wie ein gerüst mit
einer sphärischen corona
x ließ das licht nicht durch sich hindurch x ließ das licht hinter sich zurück
x war eine dunkelgestalt x war ein schmerzensmann x war ein gerippe
und sah aus wie eine vogelscheuche ein stecken quer durch die schultern
gezogen ein stecken längs seinen körper stützend den kopf so eingezogen
daß man ihn nicht sah
x beizte die atemnot und gerbte die erstickungsangst x hatte der husten
geschwärzt seine lungen waren von teer veräzt und verstopft es war
unmöglich ihn zu durchleuchten x fraß rauch und der rauch fraß x
sie verzehrten einander so stark rauchte x
und die arbeit war sein zu hause er wohnte bei ihr auf station er hatte
ein bedürfnis nach häuslichkeit es mußte bequem sein darin war er
pedant die hausschuhe die fußbank die stehlampe die zeitung dafür
hatte die arbeit zu sorgen und sie versorgte ihn damit
die patienten kamen zu besuch sie leisteten ihm gesellschaft er lud sie ein
es gab kaffee und kuchen selbstgebackenen von e immer hatte x
feierabend er mochte nicht gestört werden in seiner privatsphäre denn
es war alles was er noch besaß das einzige was ihm verblieben war
wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ und sein bleiben ihm selbst nicht
länger zu zumuten war ging er und wie er ging ein großer gehender
ein im weggehen gehender seine abgänge hatten größe und damit
sind wir beim kern x war keine figur x war ein schauspieler nicht aus
talent oder neigung sein schicksal hatte ihn zum darsteller werden lassen
einer rolle die x heißt fassbar sichtbar erkennbar wahrnehmbar war er
nur im gegenlicht des viereckigen gangausschnittes das war seine bühne
sobald er diese verließ aus der welt seiner arbeit heraustrat verlor er sein
gesicht seine gestalt seinen umriß löste sich auf entwich wurde zu nichts
wie rauch er verging
völlig unklar wohin er ging völlig unklar woher er kam x befand sich im
zustand des vergehens er war ein vergehender ein im vergehen begriffener
x war so sagte er selbst einer von dem nichts übrig bleibt als die kippe
seiner letzten zigarette
h
ihrem wesen nach war sie eine ratte schnüffelte schnupperte und
schwänzelte knapperte und nagte statt der rattenhaare einen anflug
von bart auf der oberlippe verschlagener blick vor allem war sie bissig
und sie war spitz sie spitzte die ohren sie kriegte alles spitz denn sie war
ein spitzel lautlos war sie flink auf den beinen wendig rasch und sie
war gefährlich sie griff immer an man eckte bei ihr an zog den kürzeren
launenhaft war sie furchtbar zänkisch immer wechselten ihre launen
ständig raste sie von hier nach da zurück richtete sich auf blitzschnell
nahm witterung auf folgte einem verdacht pfiff verpfiff sie trug zu
schwärzte an verriet beschuldigte verleumdete meldete nach oben
nichts entging ihr alles bekam sie mit nichts blieb ihr verborgen eine
mischung aus scharfer auffassungsgabe und geschliffenem instinkt
sie roch wo für sie etwas zu holen war sie hörte das gras wachsen
dazu kam das sie fanatisch war sie hatte etwas faschistisches sie war
eine nazisse vor der schilddrüse trug sie eine ovale emaillebrosche
eine art plakette auf der ein rotes kreuz abgebildet war das wirkte
runenhaft mutterkreuzlerisch oder eisernkreuzern jedenfalls ordenhaft
elitär sie trug steife gestreifte schwesternkleider die noch mehr als die
anderen trachten an anstalt erinnerten an zuchthaus an straflager
und sie trug einen männerhaarschnitt fast eine soldatenfrisur der
wenigen haare wegen hielt die schwesternhaube nicht verrutschte
und saß schief wie ein käppi
eine aufseherin war sie eine aufpasserin und sie war voreingenommen
für sie gab es von vornherein immer etwas worauf sie aufzupassen hatte
nichts was ihrer aufsicht nicht unterstanden hätte und da ihr die
arbeitstherapie unterstand stand sie obenan an den kopfenden der
langen tische wie auf hoher warte und teilte von oben herab die arbeit
ein ordnete den arbeitsprozess an legte die arbeitsschritte fest schrieb
die handgriffe vor bestimmte tempo und dauer der arbeit gestattete
pausen und austritte und flitzte gleichzeitig herum fuhr dazwischen
ahndete verstöße verbot zuwiderhandlungen und da ihr mißtrauen
grenzenlos war hatte sie immer irgendeinen verdacht sie suchte den
vorwand um einschreiten zu können und fand ihn
irgendwann verlor sie den überblick und hatte die arbeitstherapie nicht
mehr im griff und mußte versetzt werden keiner war darüber böse
die bedrohung die von ihr ausging hieß euthanazi
i
wurde von allen nur damasius genannt woher er diesen namen hatte und
was er bedeutete wußte er selber nicht vaterlos aufgewachsen lebte er mit
mutter und tante in einer bescheidenen dreizimmerwohnung und diese
doppelte frauenzimmerschaft seiner kinderzeit mußte irgendwie auf seine
körperliche entwicklung durchgeschlagen sein denn lang oder hoch
gewachsen war er für zwei jedoch haftete seinem großwuchs etwas
mädchenartig zerbrechliches an er wirkte nicht männlich hager sondern
weiblich mager unreif dürr
das stangenhaft aufgereckte seiner erscheinung zusammen mit einem
schnabelförmigen gesicht ließen ihn aussehen wie einen schreit oder
laufvogel er kam daher wie der vogel strauß allerdings in femininer person
starr und steif ragte seine wachsamkeit hennen oder gluckengleich empor
alles unmittelbar in seiner nähe um köpfe kleinere bergend unter seinen
armlangen fittichen während was entfernter weniger nahestehend ihn
umgab gleichsam den pfahlzaun seines geläufs bildete
mit mir der ich einer sehr anderen gattung zugehörig mich schon der
schieren verträglichkeit halber meist außerhalb seiner hegenden und
brütenden reichweite aufhielt pflegte er dennoch in einem gutmütig
glucksenden und kollernden tonfall des wohlwollens und der betreuung
zu verkehren seiner natur gemäß von sehr weit oben herab doch
jedesmal wenn er sich zu mir herabließ neigte er sich mir zu denn seine
herablassung war zuneigung
es mochte dies seiner mädchenhaften konstitution geschuldet sein
er war ungemein zartfühlend kindlich empfindsam er litt an einem
dem mitleid gegenüber anfälligem gemüt gut möglich daß er mit diesem
durchaus christlich deutbaren hang zur nächstenliebe sich selbst
überforderte denn einer erkrankung ebendieses gemüts verfiel er zeitweilig
j
hatte seine eltern im krieg verloren er kannte ihre namen mehr wußte
er nicht die frau bei der er aufwuchs hatte ihn adoptiert er hielt sie für
seine großmutter das wirkte sich gleich zweifach auf ihn aus
er verinnerlichte ihr vorbild in sämtlichen praktischen tugenden von
sauberkeit über gründlichkeit bis pünktlichkeit und er gab sich äußerlich
alle züge eines zu seiner großmutter passenden lebensgefährten
mit dem erfolg daß er vom ersten tag seines medizinertums an vollzählig
mit den attributen ausgerüstet erschien wie man sie gewöhnlich nur bei
einem sein leben lang schon praktizierenden erfahrenen und ehrwürdigen
landarzt vorfindet
gemessenen schrittes kam er heran sein gang bedächtig vornüber gebeugt
seine bewegungen sparsam seine sprache geduldig sein blick ernst
beherrscht und doch einfühlsam sein umgang mit den patienten
unwillkürlich fragte sich jeder nach dem geheimnis derartiger
mustergültigkeit es lag im perspektivischen
er kannte was das leben genannt wird nur durch die brille der großmutter
als zustand des fertig gelebten nachhinein folglich hatte er sich seine
eigene zukunft im vorhinein so oft bis ins kleinste ausgemalt daß er als er
sie nun antrat fix und fertig vor sich sah was immer geschehen mochte
es wäre ihm nicht neu gewesen überraschen konnte ihn nichts er hatte
es längst und wiederholt in jeder einzelheit bedacht und kein anderes als
dieses vorher entworfene und nun feststehende leben war er bereit für
das seine zu halten sofern dieses seinem plan und dessen verwirklichung
sich nicht widersetzte
ein dasein im noch ungewissen erst bevorstehenden widersprach der
ihm anerzogenen betrachtungsweise seine charakterliche grundfestigkeit
fußte darum auch nicht auf einer aus dem rahmen fallenden begabung
für den heilberuf sie war das ergebnis sehr verbissenen fleißes und einer
alles zufällige gewaltsam ausschließenden disziplin
ständig war er damit beschäftigt sich im auge zu behalten sich auf die
finger zu sehen tadelnd schaute er auf sich herab und verbesserte
mißbilligend die ausnahmsweise auch ihm unterlaufenden fehler
auf mich wirkte er zeitlos alt und bedürfnisfeindlich abgelebt seine
selbstlosigkeit hielt ich für eigennutz dafür war ich ihm von herzen
zuwider unablässig und eindringlich warnte er sich und mich vor mir
und früher als ich wußte er es als erster daß aus mir nimmer und nie
ein arzt werden konnte
herr m
wenn pforten das hin und her in der horizontalen regeln so fahrstühle
das auf und ab in der vertikalen in der nervenklinik gab es zwei
fahrstühle den vorn führte herr m und den hinten fuhr frau n
herr m war ein kleiner streng blickender herr der wert auf gutes
benehmen legte er trug einen weißen kittel in dessen brusttasche
griffbereit ein taschenkamm steckte herr m gab nicht nur acht auf seine
frisur er sah auch aus wie ein friseur
herr m verfügte über einen hölzernen schemel welchen er im fahrstuhl
selbst oder neben der geöffneten fahrstuhltür plazierte saß er außerhalb
rauchte er diskret an einer zigarette die in einem silbernen mundstück
steckte hatte er im fahrstuhl platz genommen befasste er sich mit
kniffligeren dingen
herr m war besessen von einer leidenschaft für uhren sie übten auf ihn
einen erotischen reiz aus seine uhren waren seine geliebten dabei erlaubte
er sich keine vertraulichkeiten seine diesbezügliche veranlagung war
genauso ordentlich und sorgfältig wie sein handwerk er benutzte eine
lupe und feines mechanisches werkzeug wenn er ihnen zu leibe rückte
und ließ von keiner eher ab als bis sie wieder richtig tickte
zu dieser dienstleistung war er aber nicht gegenüber jedermanns
uhrwerken bereit es waren die weiblichen uhrenträgerinnen denen er
diesen gefallen tat und die gingen auf seine äußerst zart vorgetragenen
reparaturanträge meist bereitwillig ein so mancher weg über die treppe
unterblieb man nahm den fahrstuhl um sich von herrn m hofieren zu
lassen und welche ihm nach mehreren auf und ab mehr vor als nach zu
gehen schien oder gar stehengeblieben und neu aufzuziehen war dieser
näherte er sich mit der intimsten aller fragen die er einer uhrenbesitzerin
je zu stellen wagte
er fragte sie nach der uhrzeit und spätestens da wußte sie was die glocke
geschlagen hatte und herr m schloß sie als ein weiteres liebhaberstück
in sein von einer leisen unruhe getriebenes herz
frau n
sie war eine gute frau kein tag verging an dem sie nicht jemandem einen
dienst erwies oder einen gefallen tat mit ihrem fahrstuhl übernahm sie
den transport und austausch von gegenständen und mitteilungen
zwischen den stockwerken und sorgte für deren weitere verbreitung und
verteilung auf den stationen
sie war gewissenhaft man verließ sich auf sie sie war verschwiegen man
traute ihr sie nahm anteil man erzählte ihr sie hörte zu so erfuhr sie was
sich zutrug was vorkam merkte sie sich hob es auf in der erinnerung
verwahrte bewahrte es in ihrem gedächtnis und kramte hervor was
vergessen war gab preis vom gewesenen wurde sie darum befragt
zu anderen zeiten wäre frau n eine weise frau gewesen eine sibylle oder
ein orakel
so aber hockte sie die nicht die geringste mühe hatte sich leichtfüssig
fortzubewegen wenn sie ihn nicht gerade im stich gelassen hatte in ihrem
fahrstuhl dauerhaft oder besser bauernhaft seßhaft wie ein marktweib
und selbst wäre derjenige ihr sehr nahe gekommen hätte ihr blick nicht
ausgereicht zu erkennen mit wem sie sprach so kurzsichtig war sie
und doch hatte sie längst erkannt wen sie vor sich hatte an dessen gestalt
gang bewegung und stimme hatte ihn durchschaut wohl wissend was ihn
bewog sie aufzusuchen die antwort fertig auf fragen die zu stellen der
entschluß in ihm gerade erst heranzureifen begann
ä ö ü
in einer offenen einrichtung stellt der pförtner oder türhüter eigentlich
keine zwingende notwendigkeit dar und schon gar nicht ein hindernis
alle ein und ausgänge sind zu jedem zweck in jeder richtung jederzeit
für jedermann passierbar und benutzbar oder sollten es zumindest sein
in geschlossenen anstalten dagegen kann dies nicht im belieben des
einzelnen liegen tore und pforten sind bewacht unbefugten ist der zutritt
verboten sich ohne erlaubnis zu entfernen ist untersagt ein aufenthalt
bedarf der genehmigung und es gibt besuchszeiten die einzuhalten sind
aber gerade derart weitreichende zuständigkeiten räumen dem
wachpersonal einen ermessensspielraum ein welchen dieses bei seiner
dienstausübung bis zur willkür ausdehnt da kann es dann soweit kommen
daß die frage ob man hinein oder hinaus darf nicht zu beantworten ist
weil sie von der wechselnden laune des türpostens unentschieden in der
schwebe gehalten wird
zum therapeutischen glaubensbekenntnis der nervenklinik gehörte die
zielstrebige einbindung des patienten in das klinikgeschehen und seine
tätige mitwirkung im klinikbetrieb man schwor auf den arbeitsablauf im
hause und zog bei der geringsten sich äußernden bereitwilligkeit den
insoweit wieder hergestellten dazu heran alltägliche beschäftigungen gab
es genug an gelegenheiten sich nützlich zu machen herrschte kein mangel
und einfache verrichtungen waren begehrt als gipfelpunkt dieser
bemühungen konnte daher gelten wo es gelang den zeitweiligen insassen
als ständigen mitarbeiter zu gewinnen
genau dies war bei ä ö und ü der fall für ä der im krieg ein bein
verloren hatte bedeutete die portierstelle eine art schonplatz für seinen
nach mehreren vergeblichen anläufen endlich domestizierten alkoholismus
ö kummergekrümmt und niedergedrückt von der schwere einer art
seelischer magenerkrankung war der platz an der pforte willkommen
seiner tiefdepressiven stimmung aufzuhelfen und ü der trotz
angestrengtester bemühungen das geheimnis ihrer heimsuchungen
nicht zu entreissen war sprang immer dann unaufgefordert ein wenn sie
von sich aus den eindruck gewonnen hatte daß ihre anwesenheit
unabweisbar und ihre aushilfe von nöten war
ab dem dreizehnten august wiederfuhr diesem trio eine bespiellose
inflationäre aufwertung über nacht und ohne daß jemand hätte sagen
können wie dies im einzelnen geschah fanden ä ö und ü sich am
nächsten morgen als teil des ordnungs und sicherheitsapparates im
grenzgebiet wieder eingebunden in die ergriffenen maßnahmen
gewissermaßen ein teil derselben und in derart vertrauensvoller
zusammenarbeit mit den keinerlei verdacht schöpfenden bewaffneten
kräften weil in allen dreien die befehlsgewalt die seiten gewechselt
und sie sich an die weisungen des klinikpersonals nicht länger gebunden
fühlten sondern als dem herrn stadtkommandanten direkt unterstellt
daß sie das sinnlose der ihnen übertragenen oder selbst angemaßten
verantwortung dabei sofort ins unverantwortlich unsinnige verkehrten
wer hätte ihnen das angesichts der waltenden umstände verübeln können
mit schadenfroher genugtuung begrüßte der neuerstandene zerberus
jeden ankömmling ließ ein mit eherner stimme wies ab mit strengem
grimme und seine dreiköpfige wachsamkeit gestattete keines besuchers
unbemerktes eindringen oder entrinnen
dagegen schritt nun seltsamerweise niemand ein keinen beunruhigte
das mißverständnis im gegenteil eine richtigstellung unterblieb oder
wurde absichtsvoll unterschlagen dafür die kollektive türgestalt
unumwunden gebilligt denn der wachhund als staatsorgan oder das
staatsorgan als wachhund es gab keinen absurderen theatralischen
effekt vor allem keinen zutreffenderen
allerdings nur bis der antifaschistische schutzwall zur weitaus
größeren absurdität aufgeführt war danach hatten ä ö und ü
ausgedient je überflüssiger sie wurden umso komischer wirkten sie
und je mehr sie dies spürten umso mehr kamen sie auf den hund
denn niemand gab ihnen ein gnadenbrot
den ewig übellaunigen im stinkenden zigarrenstumpenqualm
hockenden beinlosen blutgesichtigen trunksüchtigen im feldwebelton
hinter aller welt herkrakeelenden ä traf der schlag
den immerfort an sich zweifelnden mit sich hadernden jammernden
um mitleid bettelnden magenlosen ö der sich unaufhörlich von neuen
plagen befallen wähnte und den sein orphisches nachtradio niemals
soweit besänftigte daß er in seiner selbstquälerei innehielt fraß nach
dem eingebildeten der richtige krebs
und ü die sich durch die zurückstufung in die bedeutungslosigkeit
veranlasst sah einem jeglichen der ihre schwelle überschritt das
eingeständnis abzutrotzen daß sie auch ein mensch und der beachtung
wert sei ü aucheinmensch also fiel nachdem ein fahrkartenkontrolleur
der linie sechsundvierzig sie nach ihrem fahrtausweis gefragt und die
scheinbar schlafende sanft angestoßen hatte vom sitzplatz da war sie
allerdings schon dreimal vom kupfergraben nach heinersdorf
und zurück gefahren umsonst natürlich