einweihung
das
moderne leben macht keinen unterschied zwischen tag und nacht
das
städtische leben tätigt auch tagsüber finstere geschäfte und das
nachtleben
macht bei morgengrauen nicht feierabend
aber
doch ist der tag die vielleicht männlich bestimmendere hälfte und
die
nacht die vielleicht weiblich unbestimmbarere
der
begrenzten entschiedenheit des täglichen entsprach die entgrenzende
unterschiedslosigkeit
oder nur ununterscheidbarkeit des nächtlichen
mehr
als sonst und wo anders war in berlin seit dem dreizehnten august
das
leben auf die nacht angewiesen weil der tag dafür einfach nicht mehr
ausreichte
alles
was tags über so ausgetragen wurde wollte des nachts erst einmal
gezeugt
worden sein
die
nacht heckte sozusagen den tag aber ein anderes bild passte besser
die
stadt war wie eine offene wunde versuchte der tag in einem mühsamen
heilungsprozeß
eine erste haut der normalität zu bilden riss die nacht diese
zarte
haut wieder auf weil diese normalität ein alptraum war von dem sich
das
leben der stadt zu befreien suchte
aber
standen die verhältnisse draußen auch dermaßen auf dem kopf
schien
es drinnen in der nervenklinik umgekehrt zu sein
auf
die verrückten war verlaß und ihre verrrücktheit wirkte
unverrückbar
egal
was die stunde geschlagen hatte
die
oberwelt ihrer tage und die unterwelt ihrer nächte teilten sich
unter der
bettdecke
wie unter der schädeldecke in den gleichen irrsinn
die
teilnahmslos und antriebsarm dahindämmernden gestalten auf deren
weggetretenen
geist die welt schon lange keinen blassen schimmer mehr
warf
pflegten der ruhe
nicht
als ob nichts gewesen wäre sondern weil alles vorbei war
sie
harrten aus in der verlassenheit des unabänderlichen und ihr bloßer
anblick
offenbarte bereits den unausweichlichen endzustand jenes
geschehens
das gerade erst in gang gesetzt worden war
als
ich am tag meiner einstellung diesen wachsaal zum ersten mal betrat
geschah
es zum zweck der besichtigung im rahmen der stationsführung
der
saal war leer die betten unberührt und uns wurde erklärt daß der
wachsaal
so hieß weil die patienten rund um die uhr unter aufsicht standen
also
auch wenn sie schliefen
der
aufenthalt außerhalb der ruhe und schlafzeiten war nur mit
ärztlicher
oder
pflegerischer duldung gestattet
das
zweite mal betrat ich den wachsaal bei dienstantritt am tag darauf
ich
stellte mich vor machte die bekanntschaft jedes einzelnen patienten
und
wurde von ihnen empfangen wie der besucher in einem zoo
die
patienten posierten in auf oder vor ihren betten gleich seltenen
exemplaren
in ihren gehegen aber ihr interesse an mir hielt sich in grenzen
erwartet
hatten sie mich nicht
die
dritte gelegenheit ergab sich am nächsten abend
die
verkehrsverbindungen insbesondere um berlin waren zeitweilig
unterbrochen
oder ganz außer betrieb
folglich
erschien die dauernachtwache der station nicht zum dienst
obwohl
ansonsten die bekanntwerdende flucht eines pflegers oder sein
zeitweises
ausbleiben keine spürbare auswirkung auf das stationsleben
hatten
erforderte diese niemanden überraschende situation daß ich
kurzfristig
einspringen mußte
vorpraktikanten
durften auf grund ihrer mangelnden erfahrung zwar allein
keine
nachwachen machen aber darauf ließ sich nicht rücksicht nehmen
ich
hatte spätdienst befand mich an ort und stelle also wurde über mich
verfügt
die
ersten beiden mal war ich gar nicht dazu gekommen mir über den
eindruck
klarheit zu verschaffen den der wachsaal auf mich machte
dazu
war alles zu schnell gegangen außerdem war ich nicht allein und
wollte
mir auch nichts anmerken lassen nur soviel begriff ich daß ich es
tag
und nacht mit menschen in schlafanzügen zu tun haben würde und
daß
der mittelpunkt dieser welt das bett war
nun
aber da ich gewißermassen die schlüsselgewalt über dreißig
patienten
in
die hand bekommen hatte stand ich mit meinem passepartout lange
zeit
vor dem eingang zum wachsaal ohne daß ich es fertig gebracht hätte
hineinzugehen
soviel
angst hatte ich mit einem mal ich allein mit dreißig geistig kranken
was
würde geschehen wenn ich die tür aufschloß würden die patienten
dahinter
stehen mir auflauern und über mich herfallen ging vielleicht
plötzlich
das licht an und alles tobte heulend und johlend durcheinander
unzüchtig
entblößt sich besudelnd die zähne fletschend fratzen schneidend
unter
gräßlichem gelächter
ich
glaubte auf der stelle zu stein erstarren zu müssen bei dem anblick
der
sich mir bieten würde mir war als sollte ich das fürchten neu
lernen
es
war die verbotene tür im märchen vor der ich stand
irgendwann
mußte ich den schlüssel ins schloß stecken trotz gänsehaut
und
ihn herumdrehen auch wenn mir dabei die haare zu berge stünden
und
die tür einen spalt weit öffnen nur daß ich gerade hindurchpasste
und
um himmelswillen kein lichtstrahl der mich hätte verraten können
kaum
war ich hineingelangt mit bis zum hals klopfendem herzen presste
ich
mich mit dem rücken gegen die türfüllung damit niemand mich von
hinten
überraschen konnte unwillkürlich hielt ich den atem an so heiß
war
es offenbar mußten die fenster aus sicherheitsgründen nachtsüber
geschlossen
bleiben
die
verbrauchte luft schien sich zu einem schwarzen körper verdichtet
zu
haben der sein gewicht auf dreissig betten verteilt hatte und dessen
gliedmaßen
arme beine füße darin unordentlich herumlagen oder
herunterhingen
wie spielsachen in einem nicht aufgeräumten
kinderzimmer
seine
masse hatte alles licht verschluckt die dunkelheit umgab ihn gleich
einem
riesigen hohlraum wie ein lebendes wesen zog er sich darin
zusammen
und dehnte sich wieder aus und gab dabei dumpf stöhnende
geräusche
und heisere laute von sich die manchmal nur aussetzten
manchmal
ganz erstarben wie erdrückt von der eigenen schwere
dieser
wachsaal war nicht einfach eine höhle oder gruft er war ein
hermetisches
gebilde ein geschlossenes universum aus dem es keinen
ausweg
und in dem es kein fortkommen gab
in
seinem mittelpunkt hatte die zeit ihr vergehen eingestellt und sich
zusammengerollt
wie unter einer bettdecke
dieser
wachsaal war ein schwarzes loch und dieses schwarze loch war ein
gefräßiger
organismus gegen dessen schwerkraft man nicht ankam
alles
was er durch seine beiden schlünde nacht und schlaf in sich
hineinzwang
und verschlang war verloren
doch
zu meiner größten verwunderung befiel mich angesichts solcher
macht
und hilflosigkeit weder grauen noch schauder dieses ausgeliefertsein
hatte
nichts unheimliches vielmehr fühlte ich wie mir jeglicher gedanke
an
flucht und fortgang gleichgültig wurde und mich der schatten der
geborgenheit
umfing
alle
hemmungen und ängste die mich vor betreten dieses saales
beschlichen
hatten waren von mir gewichen wie eine beschränkung die ich
mir
selbst auferlegt hatte um sie nicht aufheben zu müssen
nun
da das mysterium der grenzüberschreitung vollzogen war erfüllte
mich
die
gewissheit angekommen und aufgenommen zu sein im unentrinnbaren
das
endgültige legte sich wie blei auf mich und viel hätte nicht
gefehlt so
wäre
ich überwältigt von einer grenzenlosen müdigkeit wie entseelt in
eines
der freien betten hingesunken um den todesähnlichen schlaf der
anderen
zu teilen
da
zeichnete im lichtleeren sich schemenhaft eine form ab erlangte
umriss
gewann
gestalt mir zugewandt
aufgeschreckt
aus der schon einsetzenden agonie meines bewußtseins
starrte
ich die erscheinung an die mich ihrerseits offenbar schon eine
ewigkeit
beobachtet haben mußte
einer
ohnmacht nahe gewahrte ich ihr sich erheben vom sitzplatz des
nachtpflegers
von dem aus sie mich überwacht hatte ihr gespenstisch
schwebendes
sich mir nähern und auf mich zu kommen und ich bemerkte
zu
meiner unbeschreiblichen erleichterung wie sie kurz bevor sie mich
erreichte
fast schon mich streifte abdrehte nicht strafend durch mich
hindurchblickend
sondern mehr vorwurfsvoll über mich hinwegsehend
weit
ins imaginäre sich abwandte von mir vorbei und vorüberglitt und mit
einem
kurzen knurren und grunzen unter der bettdecke verschwand
einen
augenblick später hatte auch ich mich hinausgeschlichen
nicht
wie einer der noch einmal davongekommen war
ich
verließ den wachsaal als eingeweihter